KLARTEXT vom 01.10.2008
Nutzlos und teuer – Ortsumfahrung Falkensee
Professor Udo Becker, TU Dresden:
„Wenn der Bürgermeister sagt, die Züge sind schon jetzt voll, dann unterstellt das, da kann man nichts machen. Die Straßen sind jetzt auch voll und da kann man was machen.
Das ist natürlich ein Ammenmärchen.“
Noch immer glauben einige Verkehrsplaner mit immer neuen Straßen die Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen, so auch in Falkensee. Für 18 Millionen Euro will man dem Stau im Ortskern zu Leibe rücken, obwohl schon heute klar ist: die meisten Autofahrer wollen gezielt ins Zentrum oder müssen von dort zur Arbeit.
Rings um Berlin brummt es… Der so genannte Speckgürtel zieht immer mehr Menschen an, die sich dort, am Rande der Hauptstadt, ein Häuschen bauen. So auch in Falkensee, nordwestlich von Berlin. Inzwischen leben hier rund 40-tausend Menschen. Tendenz steigend. Doch so schön das auch sein mag, ein Leben im Grünen, ohne Auto ist es schwierig. Und so kann aus der Vorstadt-Idylle ganz schnell ein Alptraum für Anwohner werden. Denn auch in Falkensee sind die Straßen häufig so verstopft wie in Berlin … Eine millionenteure Lösung soll nun Abhilfe schaffen. Doch dieser Plan birgt neue Probleme. Andrea Böll.
Stoßstange an Stoßstange wälzt sich der Verkehr durch Falkensee. Viele Menschen fahren täglich zur Arbeit in die Hauptstadt und abends wieder zurück. Falkensee grenzt westlich an Berlin-Spandau. Genau diese Hauptverbindungsstraße nach Berlin ist ständig verstopft. Eine neue Straße soll jetzt den Verkehr entschärfen. Die so genannte Nordumfahrung.
18 Millionen Euro soll die neue Straße kosten. Ob sich die Investition lohnt, darüber ist in Falkensee ein heftiger Streit entbrannt.
Joachim Schumann hat genug von Blechlawinen und Dauerstaus. Er ist Vorsitzender der Bürgerinitiative für die Nordumfahrung.
Joachim Schumann, Bürgerinitiative für Nordumfahrung
„Ich bin für die Nordumfahrung, weil wir durch die Nordumfahrung eine Riesenentlastung hier in Falkensee in den hauptbetroffenen Straßen kriegen.“
Das wiederum glaubt Günter Chodzinski nicht. Er ist Vorsitzender der Bürgerinitiative gegen die Nordumfahrung.
Günter Chodzinski – Bürgerinitiative gegen Nordumfahrung
„Wir denken, dass ein solcher Eingriff in die Natur überdimensioniert wäre. Wir haben nachgewiesen oder überprüft anhand der Unterlagen und an den Verkehrszahlen, dass die Straße nicht den Nutzen haben wird für Falkensee und wir lehnen deshalb den Straßenbau ab.“
An der Verkehrshochschule Dresden unterrichtet einer der renommiertesten Verkehrsexperten Deutschlands. Professor Udo Becker hat sich intensiv mit der Planung der Nordumfahrung in Falkensee befasst. Er ist überzeugt, dass die neue Trasse das Verkehrsproblem nicht löst.
Prof. Udo Becker, Verkehrsökologe TU Dresden
„Was wir immer vergessen ist: Ja, es gibt Durchgangsverkehre und Transitverkehre aber eigentlich sind wir, die Einwohner, diejenigen, die den Verkehr machen. Also 92 Prozent beginnen und/oder enden in Falkensee und die werden natürlich auch in der Zukunft dort enden.“
Genau hier liegt das Problem: Den meisten Verkehr verursachen die Falkenseer selbst. Sie fahren zur Arbeit und wieder nach Hause, sie fahren zu Freunden oder zum Einkaufen. Der Hauptverkehr ist Binnenverkehr und eben kein Durchgangsverkehr. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Das stellt sogar die Verkehrsanalyse des Landes Brandenburg fest. Darin heißt es:
Zitat:
„Kfz-Verkehr in der Stadt Falkensee ist heute in erster Linie Eigenverkehr“
Trotzdem ist man im zuständigen Ministerium fest davon überzeugt, dass sich der 18 Millionen Euro teure Neubau lohnt. Ein Interview wird abgelehnt. Schriftlich heißt es:
Zitat:
„Die Ortsumgehung wird zu einer verbesserten Verkehrsverteilung im Raum Falkensee beitragen und einen unabdingbaren Beitrag zur verbesserten städtebaulichen Entwicklung im zentralen Bereich des Ortes leisten.“
Solchen Aussagen vertrauen viele in Falkensee, deshalb fordern sie die Nordumfahrung.
Bürger
„Ich wohne seit 1939 hier aber was sich jetzt hier abspielt, hält keiner mehr aus.“
„Sie sehen ja selber, der Verkehr hat sich mindestens um das 10-20fache verstärkt in den letzten 18 Jahren. Und wir sind dafür, dass der Verkehr rausgeleitet werden muss.“
Der Bürgermeister von Falkensee will die neue Straße, weil viele Einwohner täglich nach Berlin pendeln. Den alternativen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs hält er für unmöglich.
Heiko Müller, Bürgermeister Falkensee
„Wir wissen, dass unsere Züge bis zum Anschlag voll sind. Wir können, selbst wenn wir wollten derzeit gar nicht mehr Leute mit der Bahn in die Stadt transportieren. Der Berufsverkehr, die Kapazitäten auf unseren Schienen sind aber auch am Ende.“
Professor Udo Becker, TU Dresden
„Wenn der Bürgermeister sagt, die Züge sind schon jetzt voll, dann unterstellt das, da kann man nichts machen. Die Straßen sind jetzt auch voll und da kann man was machen. Das ist natürlich ein Ammenmärchen. Natürlich könnte man auch im öffentlichen Verkehr was machen und wenn man jetzt Züge häufiger, auf einer kleinen Strecke, vertakteter, günstiger im Preis fahren lässt, werden die Menschen natürlich reagieren.“
Damit Falkensee deutlich entlastet wird, müssten hauptsächlich die Falkenseer selbst auf die neue Straße ausweichen. Schließlich sind sie ja Hauptverursacher des Verkehrs.
Die Mehrzahl der Bevölkerung wohnt allerdings im südlichen Teil der Stadt. Die Einwohner – so will es die Planung – sollen allen Ernstes durch den ganzen Ort auf die Nordumfahrung ausweichen. Wahrscheinlicher ist, dass sie weiter über die B5 Richtung Berlin fahren oder – wie gehabt – die alte Straße benutzen.
Professor Udo Becker, TU Dresden
„Wer natürlich eine Umfahrungsstraße baut, macht Verkehr attraktiver und dann wird mehr gefahren werden. Das beobachten wir überall. Mit dem Effekt führt das dann dazu, dass schlicht und einfach mehr Verkehr entsteht, auch erzwungen wird, dass sich die Raumordnung ändert und am Schluss in der alten Ortsdurchfahrt vielleicht genauso viel Verkehr ist wie vorher, zusätzlich aber natürlich dieses Naturgebiet auch noch belastet, verlärmt, verschmutzt wird.“
Denn wo heute noch intakte Natur ist, wäre bald eine Straße. Vom idyllischen Naherholungsgebiet am Falkenhagener See bliebe nicht mehr viel übrig.
Macht die Sache eigentlich klar, oder?!
Beitrag von Andrea Böll,
rbb