Pressemitteilung der BISF
Experte Prof. Becker zur Verkehrsuntersuchung Neubau der Ortsumgehung Falkensee: „Wer solche Studien anfertigt, handelt unverantwortlich“
Immer mehr Fachleute werden auf die umstrittene Ortsumfahrung Falkensees aufmerksam. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens äußerte sich einer der renommiertesten Verkehrswissenschaftler Deutschlands, Prof. Dr. Udo Becker von der Technischen Universität Dresden, in einer Sendung des rbb-Fernsehens zu der knapp 10 km langen Route im Norden der Gartenstadt. Sein Urteil fiel ernüchternd aus, bewirke doch solch eine neue Straße, „dass mehr Verkehr entsteht und am Schluss in der alten Ortsdurchfahrt genauso viel Verkehr ist wie vorher.“ Die Nordumfahrung ist quasi ein Paradebeispiel dafür, wie Verkehrsplanung heutzutage nicht vollzogen werden sollte.
Für die Bürgerinitiative Schönes Falkensee (BISF) hat der Verkehrsexperte der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ seine Gedanken in einer ausführlichen Stellungnahme formuliert. Bei der Planung der Ortsumgehung Falkensee handelt es sich nach Becker „um einen rein verkehrstechnischen Ansatz: Nach diesem Ansatz wird (und soll) der Verkehr weiter wachsen, dazu muss man Straßen bauen, und wenn man die Straßen baut, werden positive Auswirkungen in allen wesentlichen Feldern erwartet.“ Allerdings ist diese Art der Planung, wie die BISF schon seit langem kritisiert, veraltet. Prof. Becker erläutert: „Dieser Ansatz war traditionell üblich, entspricht aber in keiner Weise den heutigen Anforderungen an Verkehrsplanung. Unter den heutigen Voraussetzungen muss sich Verkehrsplanung eben nicht ausschließlich an Verkehrsmengen oder Stauungen orientieren, sondern es sind grundsätzlich andere Fragestellungen relevant: Analysen und Lösungen müssten sich nicht an Fahrzeugen, sondern an den Mobilitätsbedürfnissen der Einwohner orientieren. An keiner Stelle wird untersucht, warum dieser Verkehr stattfindet und welche Bedürfnisse der Einwohner dahinterstehen (z.B. Arztbesuch, Einkauf, Arbeit, Freunde besuchen). Erst die Analyse der hinter den Fahrzeugen stehenden Bedürfnisse lässt aber eine vernünftige Planung zu.“ So aber, folgert Becker, „kann der Ansatz überhaupt nicht wissen, wo die Mobilitätsprobleme bestehen.“
Der Verkehrsexperte führt mit Blick auf die künftigen Entwicklungen weiter aus: „Mit dem Ansatz werden die Probleme der Kommune nicht gelöst, sondern verschlimmert. Es herrscht Konsens in der Verkehrswissenschaft, dass ein schnellerer und attraktiverer und auch billigerer Verkehr zu mehr Verkehr führt: Dynamisch und unter Systemaspekten wird die Ortsumfahrung also dazu führen, dass Autofahren attraktiver wird, wir mehr Autos benötigen, mehr Kraftstoff tanken müssen und mehr CO2, mehr Lärm und mehr Abgase erzeugen.“ In den Prognosen der offiziellen Planungsunterlagen wird angenommen, dass die Ortsumfahrung eine Zunahme des Ost-West-Verkehrs um 5.000 Fahrzeuge pro Tag erzeugt.
Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen nach Prof. Becker zu neuartigen Planungszwecken: „Die Zukunftsaufgabe für Verkehrsplanung liegt heute nicht mehr darin, dafür zu sorgen, dass die Menschen mehr und öfter und weiter fahren können (und müssen!), sondern dass Sie unter den veränderten Randbedingungen auch mit weniger Geld, mit weniger Benzin, mit weniger Lärm und weniger CO2, aber mit mehr Rad- und Fußverkehr, mit mehr Läden in der Nachbarschaft, mit dezentralen Arzt- und Kindertageseinrichtungen usw. ihre Bedürfnisse kostengünstig abdecken können. Damit aber ist eine ganz andere Aufgabenstellung notwendig geworden.“ Es ist eine Stadtplanung gefragt, die den Öffentlichen Nahverkehr stärkt und eine Zunahme des Motorisierten Individualverkehr vermeidet.
Schließlich äußert Prof. Becker deutliche Kritik am Vorgehen der Gutachter, die die Planunterlagen für die Nordumfahrung erstellt haben: „Wer unter den heutigen Rahmenbedingungen noch Studien anfertigt wie die vorgelegte Verkehrsuntersuchung zur Ortsumgehung Falkensee, oder wer nach solchen Studien Entscheidungen fällt, der handelt nicht nur unverantwortlich und setzt kostbare Finanzmittel für kontraproduktive Zwecke ein, sondern er macht die Lösung der anstehenden Herausforderungen sogar noch schwerer: Denn er setzt einen Prozess in Gang, der exakt in die falsche Richtung zeigt. Anstelle die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt der Planung zu stellen und schon heute eine Stadt zu entwickeln, in der diese Bedürfnisse zukünftig schnell, leicht, billig, sicher, leise, klimaschonend und kostengünstig abgedeckt werden können, werden heute mit viel Geld Strukturen aufgebaut, die die Lösung der Probleme in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch erschweren werden. Dies ist kontraproduktiv und kann nicht im Interesse der Menschen liegen.“
Methodisch sind das erstellte Gutachten und die darauf aufbauende Planung also sehr in Frage zu stellen. Auch inhaltlich sind, hat die BISF festgestellt, diverse Mängel enthalten. Das Schlussurteil von Prof. Becker klingt vernichtend: „Damit kann schlussendlich festgehalten werden: Die vorliegende Planung ist überholt, der verwendete Ansatz sorgt dafür, dass Verkehr attraktiver, weiter und länger wird und dass die effiziente Befriedigung der Bedürfnisse für alle Einwohner Falkensees in der Zukunft noch erschwert wird. Der Ansatz ist un-nachhaltig. Eine nachhaltige Entwicklung müsste anders vorgehen und exakt gegenteilige Richtungen einschlagen.“