Verkehr ohne Ampeln und Fahrbahnmarkierungen

MAZ 17.5.2008

In Brandenburg wird ein neues Konzept erprobt: Verkehr ohne Ampeln und Fahrbahnmarkierungen

POTSDAM Keine Ampeln, kein Verkehrsschild. Es gibt nicht einmal Gehwege für Fußgänger oder Fahrbahnmarkierungen – niemand hat auf der Straße Vorrechte. „Shared Space“, zu deutsch etwa „gemeinsam genutzter Raum“ verfolgt den Ansatz, dass der öffentliche Straßenraum gemeinsam allen Verkehrsteilnehmern gehört.

Drei Kommunen in Brandenburg sollen demnächst die Probe aufs Exempel machen. Sie testen das Verkehrsmodell, bei dem sich Autos, Radfahrer und Fußgänger in „shared space“ selbst organisieren. Neun Bewerbungen aus Brandenburg liegen dem Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung bereits vor. „Bis zum Sommer wollen wir daraus drei Pilotprojekte festlegen“, sagt Infrastrukturminister Reinhold Dellmann (SPD). Bereits jetzt könne man feststellen, dass „Shared Space“ immer eine maßgeschneiderte Lösung für die jeweilige Kommune sein muss, so Dellmann.

Ziel des Experiments, an dem unter anderem Potsdam, Nuthetal und Luckenwalde teilnehmen wollen, ist es nach Angaben des Ministeriums, „neue, individuelle Lösungen“ in der Verkehrsplanung zu finden. „Von dem ,Shared-Space-Ansatz’ erhoffen wir uns, dass es auf den Straßen ein größeres Miteinander gibt“, erklärt Petra Dribbisch, Mitarbeiterin der Pressestelle im Verkehrsministerium. Man wolle erproben, ob die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zunimmt, wenn sie sich „auf Augenhöhe begegnen.“ Das ist durchaus wörtlich gemeint. Denn nach dem „Shared-Space-Modell“ verständigen sich Fußgänger, Auto- und Radfahrer via Blickkontakt. Oberstes Gebot im gemeinsam genutzten Verkehrsraum ist folglich die gegenseitige Rücksichtnahme.

Für Ronald Winkler, Referent für Stadtverkehr beim ADAC in München, ist der „Shared-Space“-Ansatz kein Patentrezept für mehr Sicherheit. „Der Schuss kann auch nach hinten losgehen“, erklärt der Verkehrsexperte, „da Fußgänger, Auto- und Radfahrer sich auf der selben Verkehrsfläche bewegen, wird es problematisch, wenn sie sich nicht an eine angemessene Geschwindigkeit halten.“ Vor allem auf Straßen mit hohem Verkehrsaufkommen und Durchgangsverkehr, bedarf es stets einer kritischen und individuellen Betrachtung vor Ort, so Winkler. Bedenken hat der ADAC-Mitarbeiter auch hinsichtlich der Verkehrssicherheit von Kindern. Sie seien oft nicht in der Lage, Gefahren durch Blickkontakt abzuschätzen: „Kinder haben viel längere Reaktionszeiten“, erklärt Winkler. Wichtig sei deshalb vor allem, dass die Pilotversuche in Brandenburg ihre Sache so gut wie möglich machen.

Auch die Deutsche Verkehrswacht diskutierte gestern im Rahmen einer Fachtagung das Thema. Vizepräsident Horst Schneider hält „Shared-Space“ für „einen Ansatz, über den man nachdenken muss“. Er kritisierte, dass viele Verkehrsteilnehmer den „Schilderwald“ nicht mehr erfassen können. „Wir müssen einen Mittelweg finden zwischen Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer und einem angemessenen Anteil von Regulierungen“, sagte er.

Einer der Bewerber für den „Shared-Space-Modellversuch“ ist die Stadt Oranienburg. Sie hofft, dass der Straßenabschnitt der Lehnitzstraße für das Pilotprojekt geeignet ist. „Wir wollen den Fußgänger- und Radfahrerverkehr fördern“, sagte der zuständige Stadt- und Verkehrsplaner, Sven Dehler. Genau wisse man jedoch noch nicht, was im Falle einer Zusage des Ministeriums auf die Stadt zukommt. Eines steht aber für den Stadtplaner fest: „Das Projekt ist eine Kostenfrage“, sagt Dehler und fügt hinzu: „Bislang wissen wir vom Ministerium jedoch noch nichts über die Finanzierung und ob uns ein bestimmter Etat zur Verfügung stehen würde.“ (Von Diana Teschler)