Sicherer mit weniger Schildern?

Potsdamer Neuste Nachrichten vom 24.07.2007

Der provokante Weg des niederländischen Verkehrsplaners Monderman steht im Landkreis Potsdam-Mittelmark zur Diskussion

Von Ute Kaupke und Hagen Ludwig

Potsdam-Mittelmark – „Langsamer ist schneller“ lautet die These des niederländischen Verkehrsplaners Hans Monderman. Könnte dies auch das non plus ultra für den Landkreis Potsdam-Mittelmark sein? Man stelle sich vor, in Werder, Beelitz oder Bergholz-Rehbrücke sind über Nacht nahezu alle Verkehrsschilder abgebaut, die Straßen und Fußwege sind nicht mehr durch Bordsteine getrennt und nur noch eine unterschiedlich farbene Pflasterung suggeriert die Gehwegbereiche.

„Shared Space“ – ein gemeinsamer Verkehrsraum für alle – lautet der Titel des Konzepts, das Monderman seit 30 Jahren schon verfolgt. In Potsdam gibt es dazu bereits einen Stadtverordnetenbeschluss. Der Oberbürgermeister möge prüfen, für welche Straßen in der Landeshauptstadt dieses Konzept mehr Lebensqualität und Sicherheit bringen könnte. Die niedersächsische Gemeinde Bohmte arbeitet bereits an der Umsetzung von „Shared Space“. Nun wird auch in einigen Kommunen des Landkreises über einen solchen Weg nachgedacht.

Komplexe Beschilderung der Städte und Gemeinden gaukle dem Menschen Sicherheit vor, seine Vorsicht lässt nach, erklärte Monderman jüngst auf einer Veranstaltung in Potsdam, organisiert von der Arbeitsgruppe „Prävention von Verletzungen durch Unfälle und Gewalt“ des Landesgesundheitsamtes. „Risiko kann aber nicht vermieden werden, es muss damit umgegangen werden“, betonte Monderman. Nur einige Grundregeln müsse es weiter geben. Die zwei wichtigsten: Rechts fahren sowie die einfache Vorfahrtsregel „rechts vor links“.

Seit 1997 untersucht die Arbeitsgruppe Unfallursachen insbesondere bei Kindern im Alter bis zu bis 12 Jahren. Dabei wurde festgestellt, dass 60 Prozent dieser Unfälle und 90 Prozent der Todesfälle in diesem Alter durch vorausschauende Risikobewertung der Situation und Umfeldveränderungen hätten vermieden werden können. „Sie bekommen keine fertigen Lösungen von mir präsentiert“, so Monderman. In der Vergangenheit sei immer übersehen worden, dass nicht das Auto, sondern der Mensch drin den Unfall verursacht. „Shared Space“ schafft nach seiner Ansicht den Bürgern die Möglichkeit, selbst wieder Lösungen für ihren „Raum“ zu finden. „Wenn die Straßen anonymisiert sind, gleich aussehen, dann brauchen wir Schilder. Aber wir möchten wieder ein Dorf, das wie ein Dorf aussieht. Eine Stadt soll wieder eine Stadt der Menschen sein. Die ersten Ansätze für eine erfolgreiche Stadt ist die gute Kommunikation zwischen Politikern und Technikern, ohne sektorales Denken“, so Monderman, der die Sache philosophisch angeht.

Die Stadt Drachten in den Niederlanden mit 30000 Einwohnern sei mit einem Umbaubeginn vor 25 Jahren der älteste Beweis, dass das Konzept aufgehe. Monderman nennt es das „Mekka“ von „Shared Space“. Die Hälfte aller Schilder wurden entfernt, von 15 Hauptkreuzungen wurden 13 umgestaltet. Im Ergebnis reduzierten sich die Unfälle um 71 Prozent, die Geschwindigkeit reduzierte sich im Durchschnitt auf 30 km/h, es treten keine Rückstaus mehr auf. Die „Aufenthaltsqualität“ für den Menschen habe sich deutlich verbessert. Interessant wirkt, dass die umgebauten Hauptkreuzungen nach Entzug massiver Beschilderung nun „Platzcharakter“ aufweisen. „Die Niederlanden sind in verkehrspolitischer Sicht ein anderer Planet“, so Jens Klocksin, der in seiner Eigenschaft als verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion durch die Veranstaltung in Potdam führte.

Immer wieder sind in letzter Zeit auch im Landkreis Potsdam-Mittelmark Probleme mit der Verkehrsbeschilderung zutage getreten (PNN berichteten). Verkehrsbehörde und Kommunen zeigten sich oft uneins über die Lösungswege. Ob es um Verkehrsberuhigung, Fußgängerüberwege, Vorfahrts- oder Hinweisbeschilderung ging, die Wellen des Missverstehens schlugen hoch. Deshalb trifft das Projekt „Shared Space“, das von der EU mit 7,5 Millionen Euro unterstützt wird, bei mittelmärkischen Kommunalpolitikern auf viel Interesse.

Es sei ein Kurswechsel im Umgang mit dem öffentlichen Raum erforderlich, sagte Elke Seidel, Mitglied der Arbeitsgruppe im Landesgesundheitsamt und Beelitzer Kommunalpolitikerin. Sicher würden bei gravierenden Änderungen Gewöhnungsphasen und Pilotprojekte nötig sein. „Politiker müssen es wollen“, betonte Seidel und kündigte an, die Idee Mondermans mit ihrer ganzen Überzeugungskraft in ihre Heimatstadt einbringen zu wollen. Die Beruhigung der Altstadt von Beelitz sei ihr Ziel. Die Chancen von „Shared Space“ will Sie dort vermitteln helfen. Nachhaltige Lösungen würden für die heutige Stadtentwicklung gebraucht mit dem Ziel der Organisation des Zusammenlebens ihrer Einwohner.

Jens Klocksin berichtete, dass in Brandenburg bisher allein in Potsdam erste konkrete Schritte zur Prüfung des Projekts unternommen worden. Die Landesregierung antwortete Klocksin auf eine kleine parlamentarische Anfrage, dass für diese Thematik der „Ortsdurchfahrten-Leitfaden“ zugrunde liege. Ob „Shared Space“ grundsätzlich auch im Land Brandenburg umsetzbar sein könnte, soll ein in Auftrag gegebenes Gutachten beantworten. Mit ersten Ergebnissen sei Ende August zu rechnen, hieß es gestern aus dem Verkehrsministerium. Minister Reinhold Dellmann habe sich „Shared Space“ auf die Fahnen geschrieben. Bereits im Juni waren Vertreter seines Ministeriums und des Landesbetriebes für Straßenwesen zu Studienzwecken in Drachten.

Für Klocksin ist in seinem Wahlkreis die Ortsdurchfahrt Bergholz-Rehbrücke ein Schwerpunkt. „Die Arthur-Scheunert-Allee vom Schwerlastverkehr zu entlasten, ist ein großes Problem. Das wird nicht einfach.“ Dabei hat er Unterstützung der Arbeitsgruppe Lokale Agenda 21 in Bergholz-Rehbrücke, deren Vertreter an der Veranstaltung mit Monderman teilnahmen.

Aus der Stadtverwaltung Luckenwalde erfuhren die PNN indes, dass sie sich anbiete, als Pilotprojekt „Shared Space“ im Verlauf ihrer Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 101 streckenweise einzurichten. Ausschlaggebend sei für diese Idee eine Fachtagung mit dem Titel „Leben mit der Ortsdurchfahrt“ mit Minister Dellmann im Oktober 2006 in Rheinsberg gewesen. Nicht jede Stadt könne eine Ortsumgehung bekommen. Es gebe aber mehr Möglichkeiten, die Innenstädte von Verkehr zu entlasten, dabei seien die Kommunen gefordert, hieß es dort. Vertreter der Luckenwalder Stadtverwaltung sind deshalb bereits zu Studienzwecken im niedersächsischen Bohmte gewesen. Die Ideen lägen auf dem Tisch, eine Entscheidung stünde noch aus.

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