INFRASTRUKTUR: Die gespaltene Stadt

Eine geplante Ortsumfahrung teilt das verkehrsbelastete Falkensee in zwei Lager

MAZ Überregional vom 04.04.09

FALKENSEE – Stinkende Abgase, Lärm und zugeparkte Gehwege – die Einwohner von Falkensee (Havelland) haben die Nase voll davon. Tagtäglich schiebt sich eine Blechlawine durch die Stadt. Hauptstädter fahren durch den Ort zum Berliner Ring und zurück, für Potsdamer liegt die Kommune auf der Strecke nach Oranienburg. „Ergebnis ist ein Verkehrsdesaster auf der Landesstraße 20, die mitten durch unsere Stadt führt“, seufzt Bürgermeister Heiko Müller (SPD). Eine Umgehungsstraße, die sogenannte Nordumfahrung, soll den Verkehr künftig aus dem Ort holen. Doch die rund 18 Millionen Euro teure Trasse spaltet die 40 000-Einwohner-Stadt.

Denn die Straße würde durch ein Landschaftsschutzgebiet führen und nach Ansicht von Fachleuten noch mehr Verkehr in die Region „ziehen“. Seit Jahren streiten zwei Bürgerinitiativen über Sinn oder Unsinn der knapp neun Kilometer langen Nordumfahrung. Zu den Befürwortern gehören Bewohner und Händler im Stadtzentrum. Auf der anderen Seite stehen vor allem Falkenseer, die im ruhigen Ortsteil Falkenhöh leben.

„Die neue Straße würde uns von der Kernstadt abschneiden und die Ortslage verlärmen“, kritisiert der Falkenhöher Günter Chodzinski, Chef der Bürgerinitiative Schönes Falkensee e.V. (BISF), die sich gegen die Umfahrung ausspricht. Unterstützung erhält er von Berliner Umweltschützern und Landwirten, die um ihr Agrarland bangen. Chodzinski glaubt, dass der Hauptverkehr auch künftig Binnenverkehr bleibt. „Den meisten Verkehr verursachen wir Falkenseer selbst“, ist sich der Märker sicher. 80 Prozent sei Anliegerverkehr. Um Falkensee zu entlasten, müssten vor allem Falkenseer selbst auf die Umgehung ausweichen. „Das werden sie kaum tun, da dies mit Umwegen verbunden wäre“, vermutet er.

Joachim Schumann ist anderer Meinung. „Die Umgehung muss schnellstmöglich kommen, sonst droht uns im Ort der Verkehrskollaps“, sagt der Chef der Bürgerinitiative „Pro Nordumfahrung Mensch, Verkehr, Leben“. Die Einwohnerzahl Falkensees habe sich seit der Wende nahezu verdoppelt, die Verkehrsinfrastruktur dagegen kaum entwickelt. „Wenn wir mit der Umgehung, wie prognostiziert, täglich knapp 10 000 Fahrzeuge aus dem Ort herausbekommen, steigern wir Lebensqualität und vermindern Unfallrisiken.“ Dies gelte insbesondere für Schul- und Radwege. Der Großteil der Stadtverordneten sowie Bürgermeister Heiko Müller stehen hinter dem Neubauprojekt. „Die neue Straße hat nicht nur positive Auswirkungen. Die Zerschneidung eines Naturraums tut auch mir weh“, erklärt der Rathauschef. Doch letztlich würden er und die Abgeordneten Verantwortung für die ganze Stadt und nicht nur für einen Ortsteil tragen. „Für mich spricht mehr für als gegen die Umgehung“, sagt Müller. Dennoch habe auch die Stadt im laufenden Planfeststellungsverfahren Änderungswünsche angemeldet. So soll etwa der Baumschutz größere Beachtung finden.

Günter Chodzinski schüttelt darüber den Kopf: „Das ist schön, dass sich Herr Müller jetzt mehr um die Bäume kümmert. Aber was ist mit der Zerstörung eines der größten Landschaftsschutzgebiete bei Berlin?“ Eine Idylle zwischen Reiherwiesen, Eiskeller und Teufelsbruch ginge unwiederbringlich verloren, so Chodzinski, der für die Grünen im Stadtparlament sitzt. Die neue Trasse führe zudem direkt am Badestrand vorbei. Joachim Schumann entgegnet: „Die Bürgerinitiative soll mal halblang machen. Das Baden im Falkenhagener See ist verboten.“ Im Rathaus hat man noch ein ganz anderes Argument für die Umgehung: Während die Nordumfahrung zum Großteil auf Landeskosten ginge, müsste für eine innerstädtische Verkehrslösung die Stadt aufkommen.

Das Potsdamer Verkehrsministerium unterstützt die neue Trasse, so Sprecher Lothar Wiegand. Die Ortsumgehung trage zu einer besseren Verkehrsverteilung im gesamten Großraum Falkensee bei. Das sieht Professor Udo Becker, Verkehrsökologe an der Technischen Universität Dresden, anders: Er befürchtet, dass die neue Trasse noch mehr Verkehr von Autobahn und Umland anlockt, die alte Ortsdurchfahrt aber nicht entlastet wird. Becker: „Dann hätte Falkensee am Ende nichts gewonnen.“ (Von Jens Rümmler)

Ein Gedanke zu „INFRASTRUKTUR: Die gespaltene Stadt“

  1. Leserbrief zum Artikel vom 04.04.2009: INFRASTRUKTUR: Die gespaltene Stadt:

    Die vielen negativen Folgen der Nordumfahrung (NU) betreffen nicht nur die Bewohner und Freizeitsuchenden von Falkenhöh, sondern auch die vielen Bewohner von Schönwalde-Siedlung. Bezeichnend für das Scheuklappendenken in Sachen NU ist, dass nur bis zur Gemeinde- und Landesgrenze gedacht und gehandelt wurde. Auch der Artikel richtet diesen fokussierenden Blick auf Falkensee. Seit dem Anhörungsverfahren und den vielen hundert Einwendungen der Schönwalder Bürger ist doch erkennbar, dass die NU kein Falkenseer Pro / Contra-Thema ist. Schon gar nicht wenn Europäische Artenschutz-Gebiete (FFH-Gebiete) betroffen sind. Schönwalde-Siedlung im Kartenausschnitt rauszunehmen wie es die Planverfasser im Verfahren oder über Schönwalde-Siedlung den Butten „Geplante Umgehungsstraße“ zu legen, wie es MAZ/Scheerbarth getan haben, wird auch nicht helfen, uns Schönwalder aus der Diskussion über die NU herauszuhalten.

    Die hauseigenen Falkenseer Verkehrsprobleme zu Lasten von Schönwalde-Siedlung zu lösen, ist keine Medaille für den Bürgermeister von Falkensee. Möchte Falkensee als Mittelzentrum seine Daseinsfunktion ernsthaft für die umliegenden Gemeinden übernehmen, dann gehört es auch zu seinen Pflichten für das Wohl über die Gemeindegrenze hinaus zu agieren.

    Heiko Müller ignoriert beharrlich, dass das verkehrliche Desaster in Falkensee nicht der Zubringerverkehr zur Autobahn ist, sondern bekannter weise der innerörtliche Verkehr in Falkensee der zu 92 % durch Falkenseer Bürger verursacht wird! Es gilt den innerörtlichen und den hauptsächlichen Pendlerverkehr von und nach Berlin nachhaltig zu lösen. Die Nordumfahrung würde keine spürbare Entlastung für Falkensee bringen – sondern mehr Verkehr anziehen und LKWs von der A10 anlocken.
    Dass die Regionalbahn und die Fahrradständer am Bahnhof bereits an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, zeigt doch, dass die Falkenseer Bürger nicht mehr nur auf das Auto als Fortbewegungsmittel setzen. Heiko Müller und die Stadtverordneten können es richten, dass Ruhe in Falkensee einkehrt und die Umgebung ruhig bleibt

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