Die intelligente Stadt

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Menschengerechte Mobilität setzt sich wie ein Puzzle aus vielen Teilen zusammen. Wirklich intelligent wird sie erst, wenn die einzelnen Teile ineinandergreifen und ein ganzes Bild ergeben.

 


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 Intelligente Lösungen im Verkehr zeigen sich gerne im größtmöglichen Einsatz kostspieliger, computergestützter Verkehrsleittechnik, die Automassen von einem Ende der Stadt zum anderen verschiebt. Jedenfalls sehen das viele Ingenieure und Politiker so. Mobilität in der Stadt muss aber zuerst den in ihr lebenden Menschen dienen. Der ehemalige Bürgermeister der kolumbianischen Hauptstadt Bogota, Enrique Peñalosa, fokussiert noch mehr auf die schwächsten Verkehrsteilnehmer. Gegenüber dem DB-Magazin „mobil“ sagte er: „Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Schnellstraßen ab, sondern davon, ob ein Kind auf dem Dreirad unbeschwert überall hinkommt.“

Die Stadt wurde in den vergangenen fünf Jahrzehnten immer autogerechter – und damit menschenfeindlicher. Heute, da die Zeichen auf Klimaschutz und Ölsparen stehen, bestehen gute Chancen, diesen Trend zu brechen. Menschengerechter Stadtverkehr setzt sich aus vielen Teilen zusammen: Platz für Fußgänger, spielende Kinder, alte Menschen, Radfahrer. Dazu ein komfortables Bus- oder Bahnangebot, weniger herumstehende Autos, langsamer Straßenverkehr. Und, das wichtige letzte Teil wären die Bürgerinnen und Bürger, die ein solches Verkehrsmodell annehmen.

Der größte Handlungsdruck entsteht derzeit durch das knapper werdende Öl. Auf steigende Spritpreise reagieren Menschen sensibler als auf zunehmende CO2-Emissionen. Professor Jürgen Gerlach von der Universität Wuppertal rechnete kürzlich auf dem IFMA-Kongress der Kölner Fahrradmesse einen Spritpreis von fünf bis sieben Euro für das Jahr 2015 vor. „Doch selbst dieser Preis würde alleine noch keine gravierende Reduktion des Autoverkehrs auslösen“, sagte Gerlach. Was weniger mit Verstand als vielmehr mit Emotion zu tun hat. In kaum einem anderen Lebensbereich werden Emotionen so perfekt angesprochen wie beim Auto – und nirgendwo wird so viel Geld dafür eingesetzt. Allein 35 Millionen Euro hat BMW investiert, um die Marke in dem neuen James-Bond-Film optimal zu plazieren. Daneben liefert das Fernsehen automobile Mobilitätskultur ins Haus. Es ist schon fast amüsant zu sehen, dass Kommissare in Krimis so gut wie nie im Stau stehen und immer ein Parkplatz vor der Tür frei ist.

„Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Schnellstraßen ab, sondern davon, ob ein Kind auf dem Dreirad unbeschwert überall hinkommt.“
Enrique Peñelosa

Derzeit bereitet sich Deutschland völlig unzureichend auf mögliche Benzinpreissteigerungen vor. Es besteht das Risiko, dass die Politik bei Preissprüngen ebenso aktionistisch vorgeht wie einst bei den aus gleichem Anlass eingerichteten „Autofreien Sonntagen“ in den 70er Jahren. Eine wirkliche Vorsorge trifft derzeit noch keine Stadt in Deutschland.

Intelligente Mobilitätsplanung muss die Bedürfnisse von Fußgängern und Radfahrern beachten. Gehweg- und Radwegbreiten sollten sich daran orientieren, wie viel Platz Menschen brauchen, wenn sie nebeneinander gehen oder Rad fahren. Nicht-motorisierte Mobile müssen Raum und Zeit vom Autoverkehr zurückgewinnen.

Wie zum Beispiel beim Fußverkehrskonzept für London. Über 580 Kilometer strategisch geplante Fußwege auf komfortablen Strecken, mit Sitzgelegenheiten, Toiletten und Spielplätzen ausgestattet, durchziehen die britische Hauptstadt. Das Besondere an „Walking London“ ist, dass man dort nicht nur Infrastruktur bereitstellt, sondern auch kräftig die Werbetrommel für ein neues Image des Zu-Fuß-Gehens rührt. Die Wege sind online abrufbar, man kann das Streckennetz ausdrucken oder auf Handys laden. Über zehn Millionen Euro investiert die Themse-Stadt dafür jährlich.

Ähnlich viel lässt sich Kopenhagen den Ausbau seines ohnehin schon exzellenten Fahrradnetzes kosten. Die Einführung der grünen Welle für Radfahrer auf einer sehr stark genutzten Straße der dänischen Hauptstadt zeigt ein erstaunliches Ergebnis: Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Radfahrerinnen und Radfahrer stieg von 15 auf 20 km/h, weil das ewige Stop and Go an den nicht auf Radtempo getakteten Ampeln wegfiel. Das mittlere Tempo der Autos auf dieser Straße fiel dabei nur von 23 auf 22 km/h. Im dänischen Odense haben Stadtplaner eine Grüne Welle für den Radverkehr mit Leuchtdiodenanzeigen auf dem Radweg eingeführt. Kleine Signalleuchten parallel zum Weg zeigen an, ob man die nächste grüne Ampel rechtzeitig erreicht.
Natürlich kann der Rad- und Fußverkehr nicht alle städtischen Mobilitätsbedürfnisse erfüllen. Manchmal müssen Verkehrsteilnehmer auf weiten Wegen schneller vorankommen. Eine zentrale Rolle in einem nachhaltigen Mobilitätskonzept spielen dann die öffentlichen Verkehrsmittel. Relevant bleibt auch der Autoverkehr, wo allerdings bessere Fahrzeuge und ihre effizientere Nutzung – beispielsweise durch die Bildung von Fahrgemeinschaften – große Potenziale bieten.
Einige öffentliche Verkehrsbetriebe haben in den letzten Jahren kräftig am Image poliert und investiert. Gerade bei einem Kollektivverkehrsmittel ist es wichtig, dass die einzelne Nutzerin oder der einzelne Fahrgast ernst genommen wird. Ein gutes Beispiel für die Berücksichtigung emotionaler Bedürfnisse sind die vielerorts eingeführten Echtzeit-Informationen an Haltestellen. Sie machen zwar keinen Bus pünktlicher, verkürzen aber die gefühlte Wartezeit.

Wie im Fernverkehr wird auch in der Stadt oft die sogenannte Reisekette übersehen. Eine Fahrt beginnt und endet nicht an Bahnhöfen und Haltestellen, sondern an der Haustür. Und der Weg dazwischen ist von größter Bedeutung. Ist die Haltestelle nicht sicher und bequem zu Fuß erreichbar, laufen die Menschen erst gar nicht hin, sondern steigen gleich ins Auto.

Intelligente Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel müssen nicht zwangsläufig zu Hightech-Lösungen führen. Einfache, durchschaubare Angebote mit Bussen und Straßenbahnen sind oft benutzerfreundlicher als teure U-Bahn-Systeme. Busverkehr auf Vorrangkorridoren kann schneller und deutlich attraktiver sein. Steht der Bus dagegen im Stau des motorisierten Individualverkehrs, fährt niemand mehr gerne mit. Hier muss die Politik klare Prioritäten setzen. Ein weiterer Vorteil des Busverkehrs: Ein Netz ist sehr schnell geknüpft. Als in Prag nach einem schweren Hochwasser die U-Bahn ausfiel, legten die Stadtoberen innerhalb weniger Tage über 100 Kilometer funktionierender Busspuren an.

Erste Veränderungen in der Verkehrsmittelwahl werden bereits heute deutlich: In Städten wie Bremen zeigt sich ein Rückgang der zugelassenen Autos trotz Bevölkerungszuwachs. Hier ist Car-Sharing ein weiterer Baustein intelligenter Mobilität. Taxi, Mietwagen und Car-Sharing ergänzen den Umweltverbund – und machen deutlich, dass es nicht um Verzicht, sondern um größere Wahlfreiheit gehen muss. 120000 Car-Sharer in Deutschland sind zwar schon eine sichtbare Größe, aber von den erreichbaren Potenzialen ist das Land noch weit entfernt. Auch hier lohnt der Blick über die Grenze. Die heute bereits erreichte Car-Sharing-Dichte in der Schweiz – 80000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei rund 7,5 Mio. Einwohnern – würde für Deutschland über 850000 Car-Sharer bedeuten.

In Belgiens Hauptstadt Brüssel haben die gute Vernetzung des Car-Sharing-Angebots mit dem öffentlichen Verkehr, eine städtische „Stilllegungsprämie“ für private Pkw und die überall sichtbaren Autoteilen-Stationen im öffentlichen Straßenraum dem Car-Sharing Zuwachsraten von 40 Prozent gebracht. In Bremen haben die 4800 Car-Sharer rund 900 Pkw ersetzt. Leider verweigert das Bundeswirtschaftsministerium eine Änderung der Straßenverkehrsordnung, um Car-Sharing-Stationen im öffentlichen Straßenraum in Deutschland ebenso einfach einrichten zu können, wie dies in z.B. in Belgien, Italien, England oder den Niederlanden der Fall ist.

Dass Car-Sharing eine Möglichkeit für die Stadtentwicklung sein kann, entdecken mittlerweile auch die extrem dicht bevölkerten Megastädte. So wird das Land Bremen auf der Weltausstellung 2010 in Shanghai unter dem Motto „Better Cities – better Life“ Car-Sharing als gelungenes Element nachhaltiger, moderner Mobilitätskultur präsentieren.