Die Angst der Händler

Berliner Zeitung von 05.11.2008

Umgehungsstraßen sollen Staus reduzieren – aber es kommen auch weniger Käufer in die Städte

Jens Blankennagel

COTTBUS. Extrem laut und dreckig – wegen seiner Bahnhof- straße ist Cottbus die bedeutendste Metropole des Landes – jedenfalls bei der Feinstaubbelastung. Mitten in der Stadt treffen sich dort zwei Bundesstraßen. Durch die Stadt pendelt täglich der Berufsverkehr zwischen den südlichen Lausitzer Tagebauen und den nördlichen Regionen Guben und Frankfurt (Oder). Wegen der Staus wurden die Ampeln vor Jahren so geschaltet, dass Straßenbahnen und Busse Vorfahrt haben. Doch damit wurden die Staus nur noch länger, die Feinstaubbelastung stieg weiter: Im Vorjahr wurde der Grenzwert an 79 Tagen überschritten. All das soll sich nun ändern – für 17 Millionen Euro erhält nun auch Cottbus seine Umgehungsstraße. Sie ist die 24. große Umfahrung im Land.

„Die Cottbuser Innenstadt soll so vom Durchgangsverkehr entlastet werden“, sagt Verkehrsminister Reinhold Dellmann (SPD). Das Projekt wird von der Stadt begrüßt. „Täglich quält sich der Schwerlastverkehr mitten durch die Stadt. Ohne die Umgehungsstraße würde Cottbus irgendwann wirtschaftlich lahmgelegt“, sagt Stadtsprecher Peter Lewandrowski.

Doch Umfahrungen dieser Art sind nicht unumstritten. Skeptiker warnen, dass zwar Verkehr und Lärm geringer werden, aber auch der Absatz der Händler, weil weniger Leute in die Städte gelangen. „Sobald eine Umgehungsstraße gebaut werden soll, kommt das Angst-Argument: Wir als Einzelhändler gehen pleite“, sagt der Sprecher des Potsdamer Verkehrsministeriums, Lothar Wiegand. „Doch es gibt nach meiner Kenntnis keine ernsthafte Studie, die dies belegt.“ Zudem würden Umfahrungen nur gebaut, „wenn der Verkehr so stark ist, dass er den Bewohnern auf Dauer nicht mehr zugemutet werden kann“.

Für manche Städte könnten Umfahrungen wirtschaftlich problematisch sein, sagt Horst Teuscher, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. „Für den Einzelhandel in Cottbus ist die Umfahrung nicht tödlich, die Stadt ist groß genug. Bei kleinen Städten ist es schwieriger.“

Nach der Wende wurden teils gewaltige Umfahrungen weit um die Orte herumgeführt. Manche sehen aus, als sollte sie als Autobahnkreuz dienen. Als Negativbeispiel gilt Wriezen, die Heimat des einstigen Verkehrsministers Hartmut Meyer (SPD). Unter seiner Ägide begann der Bau einer großzügigen Umfahrung um den kleinen Ort im Oderbruch. Selbst Parteifreunde sprechen von der Strecke scherzhaft als „Hartmut-Meyer-Gedächtnisring“.

Als positives Beispiel gilt Oranienburg. Dort war die Innenstadt täglich von knapp 30 000 Fahrzeugen verstopft, die von Berlin und der Autobahn kommend über die viel befahrene Bundesstraße B 96 durch die Stadt Richtung Rheinsberg und Müritz fuhren. Die vierspurige Umgehung brachte ab 2003 eine deutliche Entspannung.

„Wichtig ist, dass die Umgehungen nicht zu weit um die Städte geführt werden“, sagt Karl-Ludwig Böttcher vom Städte- und Gemeindebund. „Das Leben soll nicht an der Stadt vorbeifahren.“ Bei Luckau, Perleberg oder Pritzwalk bestehe durch die weite Umfahrung die Gefahr, dass diese schönen „Städte mit historischen Stadtkernen“ weniger wahrgenommen werden. „Eine neue Bescheidenheit beim Straßenbau aus Kostengründen ist besser, als die manchmal etwas gewaltig geratenen Umfahrungen aus den 90er-Jahren“, sagt er.

Nur wenig Durchgangsverkehr

Dass eine Ortsumfahrung kein „Allheilmittel“ gegen Stau ist, weiß Professor Herbert Staadt, an der Fachhochschule Potsdam zuständig für das Fachgebiet Straßenwesen. „Umfahrungen sind sinnvoll, weil Verkehr aus sensiblen Bereichen verlagert wird.“ Doch es sei nicht immer gerechtfertigt, dafür teure Umfahrungen zu bauen und auch noch in meist unberührte Landschaft einzugreifen. „Denn anders als oft angenommen, liegt der Durchgangsverkehr meist unter 14 Prozent“, sagt er. In Potsdam seien es gar nur acht Prozent. „Je größer die Stadt, um so weniger Durchgangsverkehr.“ Die meisten Autofahrer kommen aus den Städten selbst – sie verursachen den Berufsverkehr sowie den „Einkaufs-, Erledigungs- und Freizeitverkehr“. Je näher die Umfahrung an der Stadt, um so mehr Einheimische nutzten sie, sagt Staadt. Besonders effektiv seien Umfahrungen des eigentlichen Ortszentrums – wenn die Stadt zugleich in Fußgängerzonen und Fahrradbereiche investiere.

So sieht es auch Ministeriumssprecher Wiegand: Wichtig sei, dass eine Stadt mit Umgehungsstraße beispielsweise eine Einkaufsstraße zur Tempo-30-Zone macht. „Dann profitiert auch der Einzelhandel, denn ohne Lärm und Dreck macht auch der Einkauf mehr Spaß.“

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Mehr als 400 Millionen Euro

Bundesstraßen: Seit 1990 wurden in Brandenburg 23 Ortsumfahrungen an Bundesstraßen gebaut. Kosten: 372 Millionen Euro.

Landstraßen: An Landstraßen gibt es weitere zehn Umfahrungen für 63 Millionen Euro.

Senftenberg: Zuletzt wurde im September die 41 Millionen Euro teure Ortsumgehung an der B 169 um Senftenberg fertig. Sie ist zehn Kilometer lang und verfügt über neun Brücken, fünf Knotenpunkte, vier Krötentunnel, zwei Kreisverkehre. Das Flüsschen Rainitza wurde 625 Meter weit verlegt.

Planung: Geplant sind weitere 39 Umgehungen an Bundesstraßen und 23 an Landesstraßen.

Modell: Für Städte, die unter zu viel Verkehr leiden, aber für die teure Umfahrung nicht infrage kommen, empfiehlt das Verkehrsministerium das „Wittstocker Modell“. Da Schwerlastverkehr nicht auf Gemeindestraßen fahren darf, wurden Gemeinde- und Landesstraßen so „umgewidmet“, dass die 40-Tonner um die Stadt geleitet werden.